Man sagt, in dem Moment, in dem das Leben endet, sieht man es noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Und jetzt, wo Lou hier saß, gefesselt, mit einer Augenbinde und dem Lauf einer Pistole direkt an ihrer Schläfe, geschah genau das.
Schon immer lebte sie in New York, zusammen mit ihrem Vater und ihrer Madre, ein wohlbehütetes Leben mit vielen Annehmlichkeiten.Mehr, als ihre Freundinnen hatten, mehr, als sie wollte und brauchte. Doch für ihren Vater war sie seine kleine Principessa. Jeden noch so absurden Wunsch erfüllte er ihr. Bedingungslos. Doch im Alter von 14 Jahren, als sie eigentlich im Bett liegen sollte und sich nur ein Glas Wasser aus der Küche holen wollte, sah sie, warum ihr Vater dies alles ermöglichen konnte. Gedämpfte Schreie drangen an ihr Ohr und, neugierig wie sie war, folgte sie deren Quelle. Im Keller, versteckt hinter einem Holzbalken, sah sie, wie ihr Vater, wie so immer gekleidet im Nadelstreifenanzug, ein paar Männern Anweisungen gab, einen anderen zu foltern. Mit weit aufgerissenen Augen rannte sie in ihr Zimmer, packte ihre Sachen, klaute aus dem Versteck ihrer Madre Geld und verließ das Haus, ohne darauf zu achten, wie ihr Vater ihr folgte. Sie rannte und rannte, bis Reifenquietschen und ein lauter Knall hinter ihr sie stoppen ließ. Langsam drehte sie sich um und sah, wie ihr Vater Auslöser eines Autounfalls war, nun eingeklemmt zwischen zwei Autos. Tränen quollen aus ihren Augen als sie zu ihm ging und ein einziges Wort sagen konnte. "Warum?" Zwar war der Krankenwagen schnell da, doch für ihren Vater war es zu spät. Die ganze Nacht irrte Lou noch umher, bevor sie einen Entschluss gefasst hatte und zurück ins Haus ihrer Madre ging. Sie wollte etwas aus ihrem Leben machen. Und nicht so, wie ihr Vater. Sie wollte den Armen und Schwachen helfen, denen, die keine eigene Stimme hatten. Und vor allem jetzt ihrer Madre. Es waren sehr schwere Zeiten für sie, in der sie praktisch sofort lernen musste, erwachsen zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Zwischen dem Lernen für die Schule und dem Lernen der Gesetze schmiss sie den kompletten Haushalt, kümmerte sich um ihre immer rascher abbauende Madre.
Tränen liefen Lou über die Wangen, als sie daran dachte, wie stolz ihre Madre war, als sie endlich einen Abschluss vom NYPD in den Händen hielt. Denn das war das Letzte, was ihre Madre noch ganz klar mitbekommen hatte. Kurz darauf verstarb sie an den Folgen der Demenz und einem Haufen falsch dosierter, selbst genommener Tabletten. Nun, verlassen von allen, kniete Lou sich so tief in die Arbeit, dass sie praktisch kein Leben außerhalb des Reviers oder des Polizeiwagens mehr hatte. Der Grund, warum sie nun hier saß. Obwohl sie seit 36 Stunden auf den Beinen war, war sie einem Drogenhändler auf der Spur und vergaß für einen kurzen Moment sich abzusichern.
Sie wusste nicht, wo sie sich befand, oder wann die Knarre endlich abgedrückt wurde als plötzlich das Band vor ihren Augen verschwand. Blinzelnd von dem hellen Licht erkannte sie nicht viel. Ein wager Umriss einer Person, die nun zu ihr sprach.
"Sophia Vega. Melde dich sofort hier an oder du bist des Todes!"
(In dem Sinne: Darf ich?)